Verjährung: zehn Jahre sind genug

08.05.2017

Bei dem Abschluss von Versicherungsverträgen sind fehlerhafte Angaben von Versicherungsnehmern zu gefahrerheblichen Umständen keine Seltenheit. Diese Anzeigepflichtverletzungen können gravierende Folgen haben. Denn der Versicherer ist berechtigt, den Vertrag von Beginn an anzufechten. Dieses Recht gilt allerdings nicht zeitlich unbegrenzt.

Verletzt der Versicherungsnehmer bei Vertragsabschluss die ihm obliegende Anzeigepflicht nach § 19 Abs. 1 VVG stehen dem Versicherer grundsätzlich die Rechte nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG zu. In Betracht kommt demnach, je nach Einzelfall, der Rücktritt vom Versicherungsvertrag, die Kündigung oder Vertragsanpassung. Diese Rechte erlöschen gemäß § 21 Abs. 3 S. 1 VVG nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss, sofern nicht der Versicherungsfall vor Ablauf dieser Frist eingetreten ist. Von dieser Regelung ausgenommen sind aufgrund der besonderen sozialen Bedeutung Krankenversicherungsverträge. Gemäß § 194 Abs. 1 S. 4 VVG beträgt die Frist für die Geltendmachung der vorgenannten Rechte des Versicherers, abweichend von § 21 Abs. 3 S. 1 VVG, drei Jahre.

Rechtsfolgen einer vorsätzlichen oder arglistigen Verletzung der Anzeigepflicht

Wird die Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer vorsätzlich oder arglistig verletzt, verlängert sich die genannte Frist. Der Versicherer kann in diesem Fall die ihm zustehenden Rechte zehn Jahre lang geltend machen. Dies folgt aus § 21 Abs. 3 S. 2 VVG. Was aber geschieht, wenn der Versicherer in dieser Konstellation nicht die ihm zustehenden Rechte nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG geltend macht, sondern den härtesten Weg geht und die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung erklärt mit der Folge der Nichtigkeit des Vertrages von Beginn an? Ein solches Recht steht ihm nämlich nach § 22 VVG zu. Damit kommen die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Anwendung. Die Anfechtung ist nach § 124 Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn seit Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.

Aber gilt die Zehnjahresfrist auch für vor Fristablauf eingetretene Versicherungsfälle? Diese Frage war bislang umstritten und wurde vom Bundesgerichthof (BGH) nunmehr in einem Grundsatzurteil vom 25.11.2015 (Az.: IV ZR 277/14) entschieden. Für Versicherungsnehmer und beratende Versicherungsvermittler besteht mit dem Urteil endlich Rechtssicherheit: Die Anfechtung eines Versicherungsvertrages nach Ablauf von zehn Jahren kommt auch dann nicht mehr in Betracht, wenn der Versicherungsfall vor Fristablauf eingetreten ist. Denn der Leitsatz des BGH besagt:„Die in § 21 Abs. 3 VVG getroffene Fristenregelung für die Wahrnehmung der Rechte des Versicherers aus § 19 Abs. 2 bis 4 VVG ist auf die für die Arglistanfechtung geltende Zehnjahresfrist des § 124 Abs. 3 BGB und die Rechtsfolgen ihrer Versäumnis ohne Einfluss.“

Inhalt und Gegenstand des Grundsatzurteils

Streitgegenstand war ein Anspruch auf Rückerstattung geleisteter Versicherungsprämien für eine Lebensversicherung. Zugunsten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin unterhielt dessen Arbeitgeberin bei der Beklagten eine Gruppen-Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, die bei Berufsunfähigkeit des Versicherten eine Beitragsbefreiung in der Hauptversicherung vorsah. Der bereits bestehende Lebensversicherungsvertrag war im März 2002 aufgrund eines Arbeitgeberwechsels in die Gruppenversicherung der Arbeitgeberin überführt und dabei um eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung erweitert worden. Aufgrund der beabsichtigten Vertragserweiterung erfolgte zuvor eine Risikoprüfung, in deren Rahmen der verstorbene Ehemann der Klägerin die ihm schriftlich gestellten Fragen des Versicherers nach gesundheitlichen Störungen verneinte, obgleich er zu diesem Zeitpunkt bereits an Morbus Parkinson erkrankt war. Der Vertrag kam daraufhin im April 2002 zustande.

Der Ehemann der Klägerin wurde aufgrund eines Gehirntumors, nachfolgender Rezidivbildungen und seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung beginnend ab August 2008 bis zu seinem Tod im Jahr 2013 berufsunfähig. Im Januar 2012 machte er Leistungen aus seiner Berufstätigkeitszusatzversicherung geltend und gab hierbei an, neben dem Gehirntumor bereits seit 1990 an Morbus Parkinson zu leiden. Der Versicherer nahm diese Angaben im Juli 2012 zum Anlass, die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wegen arglistiger Täuschung anzufechten und zugleich eine Beitragsfreistellung des Versicherten in der Lebensversicherung abzulehnen. Mit ihrer Klage forderte die Ehefrau des Verstorbenen die Rückerstattung der in dem Zeitraum 2008 bis 2013 geleisteten Prämien für die Lebensversicherung wegen ungerechtfertigter Bereicherung.

BGH gibt Klägerin Recht

Die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen, die Revision der Klägerin hiergegen hatte Erfolg. Der BGH führt in seinen Entscheidungsgründen aus, dass die in § 124 Abs. 3 BGB geregelte Ausschlussfrist abgelaufen war, da zwischen der Vertragsannahme im April 2002 und der Anfechtung derselben im Juli 2012 mehr als zehn Jahre verstrichen waren. Anders als die Vorinstanzen lehnt der BGH eine Übertragung der in § 21 Abs. 3 S. 1 2.HS VVG getroffenen Regelung auf die Zehnjahresfrist nach § 124 Abs. 3 BGB ab. Eine Anfechtung durch den Versicherer nach Ablauf von zehn Jahren scheidet damit aus, unabhängig davon, ob der Versicherungsfall zuvor eingetreten ist.

Die Entscheidungsgründe

Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass dies bereits aus dem Gesetzeswortlaut folge, da die Regelungen in § 21 Abs. 3 VVG nur die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 VVG beträfen. § 22 VVG hingegen bestimme eindeutig, dass das Recht des Versicherers, den Vertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten „unberührt“ bleibe, mit der Folge, dass hier allein die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, mithin §§ 123, 124 Abs. 3 BGB, einschlägig seien. Eine verdeckte planwidrige Regelungslücke gebe es nicht.

Der BGH verweist weiter darauf, dass bereits nach dem VVG in seiner alten Fassung das Recht zur Arglistanfechtung (§ 22 VVG a.F.) von den Vorschriften über die vorvertragliche Anzeigenobliegenheit des Versicherungsnehmers (§§ 16 bis 21 VVG a.F.) unberührt bleiben sollte und seinerzeit Einigkeit darüber bestanden hatte, dass diese Vorschriften für die Anfechtung wegen Arglist nicht galten. Eine sachliche Änderung sei mit der Einführung des VVG in seiner neuen Fassung nicht beabsichtigt gewesen.

Der Senat bestätigt zudem erneut seine Entscheidung vom 07.02.2007 (Az.: IV ZR 5/07), wonach dem Versicherer gegen den Versicherungsnehmer keine Ansprüche aus Pflichtverletzung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1 und 3, § 282, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB; früher culpa in contrahendo) zustehen, wenn der Versicherungsnehmer im Vorfeld des Vertragsabschlusses über einen gefahrerheblichen Umstand täuscht. Die Vorschriften in den §§ 19 bis 22 VVG (§§ 16 bis 22 VVG a.F.) regelten die Rechtsfolgen insoweit abschließend.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil des Bundesgerichtshofes ist zu begrüßen. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, der systematischen Stellung des § 22 VVG als eine den §§ 19 bis 21 VVG nachfolgende Vorschrift sowie der Begründung des Gesetzgebers (BTDrucks. 16/3945 S. 67) war die Entscheidung zu erwarten. Der Gesetzgeber hatte bereits in seinem Gesetzesentwurf zu § 21 VVG n.F. klar zum Ausdruck gebracht, dass die vorgeschlagene Bestimmung hinsichtlich der Arglist der Regelung des § 124 Abs. 3 BGB entspreche. Zudem wurde ausdrücklich festgehalten, dass § 22 VVG in seiner neuen Fassung sachlich mit § 22 VVG (a.F.) übereinstimme. Die Zehnjahresfrist ist damit absolut. Nach Ablauf dieser Frist scheidet eine Anfechtung durch den Versicherer wegen arglistiger Täuschung aus.

Von Birte Raguse, Fachanwältin für
Versicherungsrecht bei KOMNING Rechtsanwälte

Download
Ass­Com­pact, Aus­gabe April 2016: Ver­jäh­rungs­frist bei arg­lis­ti­ger Täu­schung im Ver­si­che­rungs­recht